In Deutschland aufgewachsen – und doch Bürgerin zweiter Klasse

In Deutschland aufgewachsen – und doch Bürgerin zweiter Klasse

Analyse
Eine Betroffene berichtet

Aktualisiert am 18.05.2025, 20:28 Uhr

In Deutschland aufgewachsen – und doch Bürgerin zweiter Klasse

Christiana Bukalo ist selbst staatenlos – weil es kein standardmäßiges Verfahren für den Umgang mit Menschen, wie ihr gibt, hat sie eine NGO gegründet.
© Dominik Morbitzer

Mehr als 126.000 Menschen sind in Deutschland staatenlos oder haben eine ungeklärte Staatsangehörigkeit. Bisher hat die Politik es nicht geschafft, Regeln für den Umgang mit ihnen aufzustellen. Mit Folgen für die Betroffenen.

Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

“Als Kind und Jugendliche durfte ich nicht reisen, nicht mit auf Klassenfahrten. Ich hatte keinen Personalausweis und hatte deswegen Schwierigkeiten auf Ü-16-Partys zu gehen”, erinnert sich Christiana Bukalo. Auch wenn sich zumindest die Sache mit dem Ausweis geregelt hat, bleiben die Rechte der jungen Frau stark eingeschränkt. Christiana Bukalo ist eine von etwa 126.000 staatenlosen Menschen in Deutschland.

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Sie ist staatenlos geboren, als Kind von westafrikanischen Eltern mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Geboren, aufgewachsen und sozialisiert in Deutschland. In Bayern in den Kindergarten und die Schule gegangen. Sie studiert in München und sagt trotzdem: “Ich bin in Deutschland zu Hause, aber Deutschland weigert sich, mein Zuhause zu sein.” Manchmal habe sie das Gefühl, sie könne nie dazugehören.

Staatenlosigkeit geht mit Einschränkungen einher

Denn der deutsche Staat verwehrt Staatenlosen grundlegende Rechte. Sie dürfen nicht wählen und nicht gewählt werden. Sie leben nicht selten in Duldung und dürfen daher nicht ohne weiteres arbeiten. Durch die fehlenden Ausweisdokumente haben sie aber auch Probleme bei der Eröffnung von Bankkonten, dem Mieten von Wohnungen und dem Einschreiben an der Uni. Was hingegen kein Problem ist: Steuern zahlen. “Meine Steuer-ID habe ich sehr früh bekommen, weil ich sehr früh angefangen habe zu arbeiten”, sagt Bukalo.

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“Du hast erst eine Identität, wenn ein Staat dich anerkennt”, sagt sie. Dabei hat sich ihre Situation schon verbessert. Mit 18 bekam sie ihren Reiseausweis, damit darf sie Deutschland verlassen, auch wenn sie für die meisten Länder komplizierte Visa-Verfahren durchlaufen muss. Mittlerweile ist sie außerdem als staatenlos anerkannt. Das bedeutet: Sie kann sich womöglich einbürgern lassen. Irgendwann.

Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit ist unzureichend

Womöglich klingt vage und doch ist es treffend: Staatenlosigkeit ist in Deutschland nicht ausreichend geregelt. Es gibt kein 08/15-Verfahren, wie mit Menschen wie Christiana Bukalo umgegangen wird. Staatenlosigkeit ist schlicht nicht vorgesehen – und das, obwohl die Anzahl der Betroffenen weltweit wächst.

“Ich bin in Deutschland zu Hause, aber Deutschland weigert sich, mein Zuhause zu sein.”

Christiana Bukalo

Zum Jahresende 2022 waren laut Rechtsanwalt Patrick Hoffmann in Deutschland 29.455 anerkannte Staatenlose und 97.150 Menschen mit “ungeklärter” Staatsangehörigkeit registriert. Hoffmanns Schwerpunkt ist unter anderem Völkerrecht.

Laut einer Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) stammen viele Betroffene aus dem früheren Jugoslawien, der Sowjetunion oder Palästina. Aber auch vom afrikanischen Kontinent, aus dem Nahen Osten oder aus Asien.

Dass der Großteil der registrierten Menschen einen ungeklärten Status hat, liegt laut Hoffmann auch daran, dass der Nachweis von Staatenlosigkeit viele Voraussetzungen hat. Genauer gesagt: Es gibt kein “spezielles Verfahren zur Feststellung von Staatenlosigkeit”, führt der Anwalt auf Anfrage dieser Redaktion aus.

Auf den ersten Blick gebe es nur zwei Möglichkeiten: Ein Mensch besitzt eine Staatsangehörigkeit oder er eben nicht. In der Praxis existiere aber eine Dreiteilung: Menschen, die nachweislich eine Staatsangehörigkeit haben, Menschen, die das nachweislich nicht haben, und jene, die weder das eine noch das andere nachweisen können.

Auch Bukalo sagt: Ihr Status könne einfach wieder aberkannt werden. Denn: “Die Anerkennung meiner Staatenlosigkeit ist rechtlich nicht bindend.” Das bedeutet: Im Einbürgerungsverfahren müsste die Staatenlosigkeit erneut festgestellt werden. Das Problem ist, dass Behörden nicht an Entscheidungen anderer Behörden gebunden sind.

Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig

Die Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig: Manche Menschen werden so wie Bukalo staatenlos geboren – weil etwa die Eltern staatenlos sind oder im Geburtsland Gesetze regeln, dass Frauen ihre Staatsangehörigkeit nicht an Kinder weitergeben dürfen. Manche Menschen werden staatenlos, weil Staaten die Zugehörigkeit als Druckmittel nutzen. Ein historisches Beispiel: Juden in Nazi-Deutschland. Ein aktuelles: Oppositionellen Russen wird in Russland mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft gedroht.

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am 19.11.2023, 11:14 Uhr

Wer die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt und schwere Straftaten begeht, dem soll die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden können. Das fordert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Auch hierzulande wurde zuletzt darüber diskutiert, Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn sie hier Straftaten begehen. Christiana Bukalo hat das traurig zurückgelassen. “Dass diese Drohung so offen ausgesprochen wurde – auch wenn das nicht für Menschen gelten soll, die keine andere Staatsbürgerschaft als die Deutsche haben – zeigt, dass Staatszugehörigkeit als politisches Instrument genutzt wird.”

Neues Staatsbürgerschaftsrecht hat die Situation nicht verbessert

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht der Ampel habe an der Situation Staatenloser nichts geändert, sagt Hoffmann. Denn: Es wurde kein einheitliches Verfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit eingeführt und die Einbürgerung erfordere nach wie vor, dass die Staatsbürgerschaft der betreffenden Person geklärt ist.

Christiana Bukalo war mit ihrer Staatenlosigkeit das erste Mal konfrontiert, als sie lesen lernte. “Damals ist mir meine Duldung in die Hände gefallen, darauf stand Staatsangehörigkeit ungeklärt.” Verstanden habe sie das nicht – “da stand ja auch nicht staatenlos drauf”. Auch das ist ein Problem: Die meisten Menschen ohne Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben, sind nicht als Staatenlose anerkannt. Häufig heißt es: Staatsangehörigkeit ungeklärt.

Ein Umstand, an dem sich aus Sicht von Bukalo dringend etwas ändern muss. Denn: Ungeklärte Staatsangehörigkeit bedeutet für die Betroffenen noch weniger Rechte. Aus Sicht des Rechtsanwalts Hoffmann müsste das Ziel, Staatenlosigkeit in Deutschland zu mindern, Teil der “von der Union proklamierten ‚Migrationswende‘ sein”. Staatenlose hätten keinen Heimatstaat, in den man sie abschieben könnte, stattdessen lebten sie oft seit Jahrzehnten in Deutschland. “Hier sollte Integration und nicht Ausgrenzung das Ziel sein.”

Bukalo will Staatenlosigkeit ein Gesicht geben

Weil sich Betroffene oft isoliert und allein mit ihren Problemen fühlen, hat Christiana Bukalo die Organisation Statefree gegründet. Die Idee dahinter: Aufmerksamkeit auf die Missstände lenken, denn Staatenlosigkeit spielt in der deutschen Öffentlichkeit quasi keine Rolle. Weder im Geschichtsunterricht noch in Debatten im Plenarsaal des Bundestags. Statefree will aufklären, Staatenlosigkeit ein Gesicht geben und gemeinsam mit politischen Akteuren Lösungen für eine Verbesserung der Situation entwickeln.

Bukalo und ihre Mitstreiter hatten gehofft, dass Schwarz-Rot Staatenlose im Koalitionsvertrag zumindest erwähnt. In Österreich etwa will sich die neue Regierung dem Missstand annehmen. Dort will die Koalition prüfen, wie man mit ungeklärter Staatenlosigkeit umgehen kann – also genau das, was Christiana Bukalo und Statefree auch in Deutschland fordern. Das langfristige Ziel der Organisation: die Anzahl der Ungeklärten verringern und einheitliche Verfahren für die Anerkennung von Staatenlosen schaffen.

Verwendete Quellen