Schuldenkrise, Regierungskrise, Staatskrise: Frankreich ist politisch gelähmt. Das sollte Deutschland eine Warnung sein, vor allem für die SPD.
Friedrich Merz sagt, wir, die Deutschen, lebten über unsere Verhältnisse, vor allem leisteten wir uns zu hohe Sozialausgaben. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, doziert der Kanzler. Wie es sein müsste oder könnte, lässt er im Ungewissen. Dafür ist offenbar die Arbeitsministerin zuständig, Bärbel Bas. Sie kündigt Reformen an, die nicht wehtun. Allenfalls den Reichen, denen kann man etwas zumuten.
Auch in Frankreich hat der gerade abgewählte Premierminister François Bayrou den Franzosen vorgehalten, sie lebten über ihre Verhältnisse. Im Gegensatz zu Merz legte Bayrou ein detailliertes Programm für die Erholung des Landes vor: Um das außer Kontrolle geratene Staatsdefizit wieder zu kontrollieren, müssten im Haushalt 44 Milliarden Euro eingespart werden. 2026 sollte ein „Nulljahr“ werden: keine Rentenerhöhung, keine Erhöhung von Sozialleistungen, Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, Einsparungen im Gesundheitswesen. Und die Franzosen sollten auf zwei Feiertage verzichten: den Ostermontag und den 8. Mai, den Tag der deutschen Kapitulation im Zweiten Weltkrieg.
Für dieses drastische Programm hat Bayrou intensiv geworben. Er redete den Franzosen ins Gewissen, er schaute ihnen in die Augen. Er appellierte an ihre Verantwortung für die nächste Generation, an ihre Moral. Er war Prediger und Psychotherapeut der Republik. Am Ende stellte er die Vertrauensfrage – und das Parlament sprach ihm das Misstrauen aus.
Daraus lässt sich vordergründig eine sozialdemokratische Lehre ziehen: Harte Einschnitte in das Sozialsystem sind nicht mehrheitsfähig. Weder in Frankreich noch in Deutschland. Macrons Premier hat alles riskiert und alles verloren.
Merz ist vorsichtiger. Seine „Agenda 2030“, die er im Wahlkampf angekündigt hatte, ist inzwischen zum „Herbst der Reformen“ umgewidmet worden. Reformen ja, Kürzungen nein, so interpretiert Bas die Ankündigung. Also kein Vergleich mit Bayrou, kein Vergleich auch zu Gerhard Schröders Agenda 2010. Damals haben die Sozialdemokraten die Interessen des Landes über die der Partei gestellt – und die Partei beinahe ruiniert. Nie wieder!
Frankreich ist über Jahrzehnte von Konservativen regiert worden, von Sozialisten oder von Liberalen – die Politik war immer sozialdemokratisch. Wenn die Wirtschaft nicht lief, steuerte der Staat mit Ausgabenprogrammen dagegen. Den von den Deutschen durchgesetzten Stabilitätspakt der EU hat man parteiübergreifend ignoriert. Die Franzosen können mit 62 Jahren, demnächst mit 64, in Rente gehen.