Der Critical and Emerging Technologies (CET) Index hilft, die technologische Leistungsfähigkeit von 25 Ländern zu bewerten, heißt es im Abschlussbericht des Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Universität. Es geht um den jeweiligen Fortschritt in den fünf Bereichen Künstliche Intelligenz (KI), Biotechnologie, Halbleiter, Raumfahrt und Quantentechnologie. Die Auswahl entspreche oder ähnele den Zukunftstechnologie-Listen zentraler Akteure wie den USA, der Europäischen Union, China, Japan, Australien oder Südkorea.
Ein zentrales Ergebnis ist demzufolge, dass die USA in allen Sektoren des Index vor China und Europa liegen. Der geringe Abstand zwischen den USA und China deute darauf hin, dass zukünftige Entwicklungen das globale Kräfteverhältnis schnell verschieben könnten. Europa liege im Bereich KI, Biotechnologie und Quantentechnologien auf dem dritten Platz. China und Russland hätten Europa in der Raumfahrt überholt. China, Japan, Taiwan und Südkorea überflügelten Europa im Bereich Halbleiter. Tatsächlich schwächten die Defizite bei Halbleitern Europas Gesamtposition im Vergleich zu den USA und China erheblich.
Die Quantentechnologien befänden sich noch in einer frühen Forschungsphase, wobei sich die aktuellen Bemühungen auf die Weiterentwicklung von Konzepten im Frühstadium konzentrierten. Dies habe zu einer fragmentierten und regionsspezifischen Entwicklung von Quantenökosystemen beigetragen. In den USA und Europa würden Universitäten die Grundlagenforschung anführen, Start-ups entwickelten spezialisierte Werkzeuge und Systeme, während große Unternehmen die Entwicklung und Infrastruktur für Quantentechnologien skalieren würden. China verfolge hingegen einen undurchsichtigeren, staatlich gelenkten Ansatz mit geringerer Trennung zwischen Forschung, Entwicklung und Industrie.
Deutschland bei KI-Forschung stark im internationalen Vergleich
“Deutschlands Stärken im Bereich KI liegen in der industriellen Anwendung, autonomen Systemen und dem Datenschutz sowie in einem starken, historisch verwurzelten Grundlagenforschungssystem”, fasst der Bericht zusammen. Eine weitere Stärke seien autonome Systeme insbesondere bei Fahrzeugen. Deutschland habe bisher jedoch keine großen Erfolge in der kommerziellen KI-Entwicklung verzeichnen und keine Investitionen von globalen Akteurinnen und Akteuren anziehen können.
Besonders hervorgehoben wird in den Ausführungen die zentrale Rolle des Saarlands in der KI-Grundlagenforschung. Diese sei angetrieben worden vom Deutschen Forschungszentrum für KI, dem Max-Planck-Institut für Informatik und dem Fraunhofer-Zentrum für KI. Daher übertreffe Deutschland die jedes andere europäische Land bei der Anzahl der KI-Patente.
Umfassende EU- und nationale Gesetzgebungen mit Schwerpunkt auf Datenschutz, Sicherheit und Vertrauen sorgten für Klarheit. Herausforderungen seien unter anderem die Abwanderung von Fachkräften sowie die Abhängigkeit von ausländischer Computerinfrastruktur.
Lange Tradition in der Biotechnologie, Rückfall bei den Halbleitern
Der deutsche Biotechnologiesektor ist laut Bericht von der Arzneimittelentwicklung durch globale Branchenriesen und Innovatoren geprägt. Dies habe zu einer weltweit führenden Position im Bereich mRNA geführt. Weitere Stärken seien Krebsimmuntherapien und fortschrittliche Diagnostik. Dies werde durch ein weltweit führendes Ökosystem der Grundlagenforschung untermauert, das aus Max-Planck- und Fraunhofer-Instituten sowie öffentlichen Universitäten bestehe. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung könnten nach Meinung der Autorinnen und Autoren des Berichts effektiver für Innovationen im privaten Sektor genutzt werden.
Die deutsche Halbleiterindustrie sei hinter die rasanten Innovationen der letzten Jahrzehnte zurückgefallen. Jüngst gebe es zwar Impulse für den Ausbau der Produktion, aber noch keinen klaren Weg für die Entwicklung hochentwickelter Chips in Deutschland. Bezogen auf den Hochschulsektor empfiehlt der Bericht die gezielte Unterstützung staatlicher Universitäten zur Stärkung der Lehre und der Fachkompetenz, einschließlich spezialisierter Studiengänge und Professuren sowie Laborpartnerschaften mit der Industrie.
Aufwind für Raumfahrt, Führungsrolle in der Quantentechnologie
Deutschland entwickele sich im Weltraum weiter, gekennzeichnet durch Erfolge wie den ersten Start von Isar Aerospace im März 2025 und den laufenden Bau des deutschen Offshore-Weltraumbahnhofs sowie das gestiegene staatliche Interesse an Unabhängigkeit in der Raumfahrt. Deutschlands Stärken im Weltraum beruhten auf einem starken, traditionellen Luft- und Raumfahrtsektor, beispielsweise bei Satellitensystemen. In Bezug auf den Hochschulsektor rät der Bericht zur Förderung des Talentpools durch erhöhte öffentliche Mittel für die Luft- und Raumfahrttechnik an öffentlichen Universitäten und akademische Partnerschaften mit Industrieclustern. Dies würde dazu beitragen, die angewandte Forschung zu beschleunigen.
In den Quantentechnologien ist Deutschland der Index-Auswertung zufolge führend insbesondere Dank seiner Exzellenz in der Feinwerktechnik als Basis von Quantensensorik und Quantenphotonik. Ergänzt werde dies durch eine starke Grundlagenforschung. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren sollte im Hochschulbereich der Quanten-Talentpool durch größere Quantencluster an öffentlichen Universitäten gefördert werden. Dazu gehörten Kooperationen mit der Industrie.
Sechs Maßnahmen gegen die Schwächen Deutschlands
Deutschland belegt im CET-Index den siebten Platz von 25. Ein traditionsreiches, gut finanziertes öffentliches Universitätssystem untermauere Deutschlands Exzellenz in der Grundlagenforschung. “Obwohl deutsche Forschungseinrichtungen in verschiedenen Bereichen wettbewerbsfähige Grundlagenforschung betreiben, tut sich die deutsche Industrie schwer, diese in disruptivere Anwendungen umzusetzen”, heißt es im Länderbericht des CET-Index.
Große systemische Herausforderungen seien der träge Verwaltungsapparat verbunden mit großem bürokratischem Aufwand, die alternde Belegschaft, der Mangel an Fachkräften, eine risikoscheue Finanzkultur sowie hohe Energiepreise.
Das Belfer Center empfiehlt den deutschen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sechs zentrale Maßnahmen:
- Langfristig die öffentlichen Mittel für eine starke, deutsche Grundlagenforschung zu sichern.
- Hohe bürokratische Hürden abzubauen wie beispielsweise Datenschutzprotokolle und bürokratische Visaverfahren für ausländische Fachkräfte.
- Der Krise bei der Entwicklung, Bindung und Gewinnung von Talenten entgegenzuwirken, beispielsweise durch öffentliche MINT-Bildungsförderung oder das Senken der Sprachanforderungen bei der internationalen Rekrutierung.
- Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft zu fördern, beispielsweise durch die Stärkung von Technologietransferstellen an Universitäten sowie durch mehr öffentlich-private Innovationsprojekte.
- Die Start-up-Förderung zu intensivieren durch Steueranreize und Zuschüsse für Risikokapital oder beschleunigte Abschreibungen.
- Die Energiewende zu beschleunigen, um das Vertrauen in langfristige Energiepreise zu gewinnen.
Wichtige politische Initiativen würden die Probleme inzwischen angehen. Der Bericht erwähnt beispielsweise die SPRIN-D-Agentur für disruptive Innovationen, den mit 10 Milliarden Euro ausgestatteten Deutschen Zukunftsfonds zur Mobilisierung von Risikokapital und gezielte Industriestrategien für KI, Quantentechnologie, Raumfahrt und Green Tech – gebündelt in der Hightech-Strategie 2025.