Ampel-Koalition: Das Schweigen der FDP zur Neuwahl-Frage

Ampel-Koalition: Das Schweigen der FDP zur Neuwahl-Frage

Die Fraktionen der Ampel-Koalition weisen die Annahme von CDU-Chef Friedrich Merz zurück, es könnte noch in diesem Jahr zu einem vorzeitigen Bruch der Koalition und zu Neuwahlen kommen. Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, bezeichnete den Vorstoß von Merz auf Nachfrage von WELT als „leichtfertig“ und „verantwortungslos“. Er könne darüber nur den Kopf schütteln.

Wiese verwies auf die außenpolitische Lage, die „extrem herausfordernd ist“. Das gelte sowohl für die Situation in der Ukraine als auch für die Präsidentschaftswahlen in den USA, die im Herbst bevorstehen. Wiese fürchtet, dadurch könnte sich „die gesamte internationale Sicherheitsarchitektur“ gravierend verändern.

Derzeit liegt der Präsidentschaftskandidat Donald Trump in Wahlumfragen mit leichtem Abstand vor dem Amtsinhaber Joe Biden im Rennen um die US-Präsidentschaft. Wiese sagte WELT: „In dieser Situation leichtfertig Neuwahlen herbeireden zu wollen zeigt vor allem, dass Friedrich Merz in seiner kompletten politischen Karriere noch nie Regierungsverantwortung hatte und dass das auch sehr gut so ist.“

„Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen“

Merz hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt, insbesondere die FDP sei nach seiner Einschätzung versucht, aus der Bundesregierung auszuscheiden. Wenn die FDP in der Koalition bleibe, fliege sie bei der nächsten Bundestagswahl aus dem Parlament, das wisse die Partei. Daher wollten die Liberalen, so die Annahme des CDU-Vorsitzenden, nicht als Teil der Ampel in den Wahlkampf gehen.

„Die Frage ist nur, wann die Liberalen gehen und aus welchem Anlass. Das Volk liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.“ Merz brachte auch schon einen konkreten Termin für mögliche Neuwahlen ins Gespräch: den 22. September dieses Jahres. An diesem Tag wird der Brandenburger Landtag neu gewählt. Schon am 1. September finden die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen statt.

Was die FDP selbst von diesen Überlegungen zum Koalitionsbruch hält, war bislang nicht zu erfahren. Fraktion und Partei wollten sich auf Nachfrage von WELT zur Aussage von Merz nicht äußern. Das wirft die Frage auf, ob der CDU-Chef mit seiner Vermutung richtig liegt. Doch die FDP enthält sich bisher einer Stellungnahme.

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Anders sieht es bei den Koalitionspartnern aus. So kritisierte auch Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, die Einschätzung von Merz scharf. Die Ampel regiere als Koalition erfolgreich und werde das auch „die ganze Legislaturperiode“ fortsetzen.

„Die Menschen durchschauen es, dass Friedrich Merz sich mit seinen Aussagen wieder mal parteitaktischen Spielen widmet statt den Herausforderungen des Landes“, sagte sie WELT.

Union: „Jederzeit vorbereitet“

Nach Auskunft der Bundestagsfraktion von CDU und CSU wäre die Union auf vorgezogene Neuwahlen „jederzeit vorbereitet“. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei sagte WELT: „Es wäre angesichts der schlechten Verfassung der Koalition geradezu fahrlässig, sich als Opposition nicht auch ernsthaft auf ein Neuwahl-Szenario vorzubereiten.“ Die Ampel sei „schwer angeschlagen“ und richte „viel Chaos“ an.

Gegenwärtig belegt die AfD in Umfragen zur Bundestagswahl mit Werten zwischen 16 und 19 Prozent den zweiten Rang hinter der Union – und damit vor allen Ampel-Parteien. Die AfD könnte von Neuwahlen daher sehr stark profitieren. Frei kommentierte das auf Nachfrage nicht.

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Er habe keine Sorge um die Stabilität des Landes, sollte die Koalition vorzeitig zerbrechen, sagte er: „Mit uns als CDU/CSU stünden starke Parteien zur Wahl, die für Verlässlichkeit und Stabilität stehen.“ Der CDU-Politiker verwies auch auf frühere Neuwahlen, zu denen es in der Geschichte der Bundesrepublik gekommen ist. „Die Demokratie hat dabei keinen Schaden genommen“, so Frei.

Die AfD sieht sich durch den Vorstoß von Merz indessen bestätigt. Es sei zu begrüßen, dass „sich jetzt auch der Unions-Fraktionschef dieser wiederholt erhobenen AfD-Forderung anschließt“, sagte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel WELT. Die Koalition habe „restlos abgewirtschaftet“ und das Vertrauen der Bürger verloren, Neuwahlen seien überfällig.

Gleichzeitig kritisierte Weidel den CDU-Chef. Merz täusche die Wähler, wenn er sich „bei den Grünen anbiedert“. Das helfe Deutschland nicht aus der Krise: „Solange die Union sich nicht von der links-grünen ,Brandmauer‘-Ideologie lossagt, werden vorgezogene Neuwahlen im Bund sie auch nicht vor der Wahlniederlage bei den Landtagswahlen im Osten bewahren.“

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Merz hatte zuvor gesagt, er habe hinsichtlich der Außenpolitik „Respekt vor den Grünen“. Die Grünen hätten sich gewandelt und seien in der Lage, in der Außen- und Sicherheitspolitik die Realität anzunehmen.

Für die Ampel-Koalition könnte die neu entfachte Debatte über ihr Scheitern und potenzielle Neuwahlen kaum ungünstiger kommen. Nach der Äußerung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in der vergangenen Woche, man müsse mit Blick auf die Ukraine darüber nachdenken, „wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann“, gab es aus Teilen der FDP und der Grünen heftige Kritik am Kurs der Sozialdemokraten. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) distanzierte sich von dem Vorstoß Mützenichs.

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Schon die Ablehnung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, hatte in Teilen der Ampel für Unmut gesorgt. Zwar beteuern insbesondere die Sozialdemokraten immer wieder, die Koalition sei nicht gefährdet.

Ihr gegenwärtiger Dissens mit den Koalitionspartnern entzündet sich allerdings an so grundlegenden Fragen, dass sie zumindest Spekulationen über ihr vorzeitiges Ende Vorschub leisten. Das Schweigen der FDP sorgt in dieser Lage für weitere Unklarheit, wie und ob es mit der Ampel-Koalition weitergeht.