„Es geht um das Geschäft mit der Impfung“

Die Einführung einer bundesweiten Impfpflicht in Gesundheits- und Pflegeberufen ab Mitte März stellt auch Berliner Fachpersonal und Verbände vor eine große Herausforderung. Die Berliner Zeitung sprach mit einer Anästhesieschwester und Heilpraktikerin sowie einer examinierten Altenpflegerin eines ambulanten Pflegedienstes. Beide fürchten um ihre Existenz, da sie sich aus unterschiedlichen Gründen gegen eine Corona-Schutzimpfung entschieden haben. Allerdings ist momentan fraglich, ob die Impfpflicht tatsächlich wie geplant umgesetzt wird. Denn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat am Montag bereits angekündigt, die Impfpflicht für Pflegekräfte in Bayern erst einmal auszusetzen.

Anna B. (*Name von der Redaktion geändert) ist im Unternehmen ihrer Mutter angestellt, die an mehreren Standorten der Stadt ambulante Pflegedienste betreibt. „Ich habe eine wichtige Rolle in unserem Familienunternehmen. Wenn ich wegfallen würde, würden wir wichtige Zertifikate und Zulassungen verlieren, da nur ich über spezielle Ausbildungen verfüge. Für die Existenz meiner Mutter wäre das eine Katastrophe“, sagt sie. Annas Mutter ist Pflegehelferin und kümmert sich hauptsächlich um die Geschäfte. Ihre Tochter ist in der Pflege tätig, seit sie 16 wurde, und hat viele Jahre als Anästhesieschwester in einer außerklinischen Beatmungs-WG gearbeitet, bevor sie in das Familienunternehmen einstieg.

Vier der 20 Mitarbeiter sind ungeimpft

Beim ambulanten Pflegedienst von Anna und ihrer Mutter sind rund 20 Mitarbeiter beschäftigt, vier davon sind ungeimpft. So wie Anna selbst. Sie habe einen Corona-Antikörpertest gemacht und dabei sei festgestellt worden, dass ihre Immunität sehr hoch sei. „Deshalb sehe ich nicht ein, mich impfen zu lassen. Außerdem fühle ich mich total gesund und war seit Jahren nicht krank“, betont die 35-jährige. In ihren Augen gehe es längst nicht mehr um die Gesundheit eines Menschen, sondern um das Geschäft mit der Impfung. „Warum sonst werden Immunitätstests nicht anerkannt, sondern wird stattdessen auf einer Impfung beharrt?“, fragt sie.

Annas Mutter, die Firmeninhaberin ist, hat sich bereits boostern lassen. „Eigentlich ist meine Mutter auch gegen die Impfung, aber sie hat sich dem gesellschaftlichen Druck gebeugt“, so die Tochter. Trotz dreier Impfungen war ihre Mutter dreimal an Corona erkrankt. „Das ist doch irre. Ständig müssen Angestellte von uns in Quarantäne und fallen trotz Impfung aus, weil sie an Covid erkranken.“ Nicht nur die Existenz von Annas Mutter wäre in Gefahr, wenn die Tochter ein Berufsverbot verhängt bekommt, auch die ihrer Familie. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern und muss alle selbst ernähren. Außerdem wäre es auch für ihre langjährigen Patienten schwierig, wenn sie ausfallen würde. „Sie haben sich schon an mich gewöhnt und Vertrauen zu mir aufgebaut. Sie wollen keine andere Mitarbeiterin.“ Schwierig sei es außerdem für ihre Mutter, an neues Personal zu kommen, da es anderen Pflegunternehmen in der Stadt ähnlich gehe und sie wegen der Impflicht Mitarbeiter verlieren würden. Sie könne mittlerweile verstehen, wenn sich Pflegekräfte gefälschte Impfausweise besorgten, weil sie Angst hätten, ihre Arbeit zu verlieren.

Präsidentin des Deutschen Pflegerats: „Wir riskieren eine Unterversorgung.“

Eine neue Stelle in der Pflege zu besetzen, dauert etwa 240 Tage, weiß Christine Vogler.  Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR) in Berlin sieht die Umsetzung der Impfpflicht zum 15. März kritisch. Sie habe von Beginn an auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung hingewiesen und darauf gedrängt, über gute Aufklärungsmaßnahmen möglichst viele Gruppen zu erreichen. Den Blick nur auf einzelne Berufsgruppen zu richten oder auf bestimmte Einrichtungen, schaffe Ungerechtigkeiten, „die wie wir nun leider erleben müssen, und die eher zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen als der Sache dienen“. Sie sagt: „Die Personaldecken sind so dünn, dass jede Lücke, die entsteht, nicht geschlossen werden kann. Wir riskieren eine Unterversorgung beziehungsweise fehlende Versorgung im pflegerischen Bereich. Die jahrelange politische Fehleinschätzung und Ignoranz der pflegerischen Situation in Deutschland hat dafür gesorgt, dass wir heute am Ende keine Wahl mehr haben, ob die Pflegenden geimpft sind oder nicht. Wir brauchen jede/n.“ Das sei  übrigens auch schon vor der Pandemie so gewesen. Eine Debatte wie nun im Rahmen der Impfpflicht zeige, dass viele die Situation der pflegerischen Versorgung noch längst nicht erkannt hätten.

Thomas Meissner, stellvertretender Vorstand des Anbieterverbandes qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen (AVG) in Berlin, glaubt, dass der Großteil der Pflegemitarbeiter sich hat impfen lassen. Für eine Aussage, viele Mitarbeiter der Pflege wollten sich nicht impfen lassen, gebe es keine validen Zahlen, die das genau belegten. Doch es gibt hin und wieder Umfragen unter den Pflegekräften zum Impfstatus. Gerade hat eine aktuelle Studie des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Berliner Charité, die der Berliner Zeitung vorliegt, ergeben, dass in Gesundheits- und Pflegeinrichtungen etwa ein Fünftel der Pflegekräfte sich noch nicht gegen Covid-19 impfen ließ. Für die Umfrage wurden in ganz Deutschland Heimleitungen und Pflegemitarbeiter stationärer Einrichtungen in einem Zeitraum von Oktober 2021 bis 24. Januar 2022 einbezogen. Meissner hält es für den falschen Weg der Ampel-Koalition, die Impfpflicht an bestimmten Berufsgruppen festzumachen. Entweder man setze eine Impfpflicht für alle um oder man solle es lassen, findet er.

In Bayern wurde die Impfflicht am Montag vorerst gestoppt. Laut Markus Söder soll die Impfflicht ab 15. März dort erst einmal entfallen. Er sei dafür, hier „großzügigst“ vorzugehen, „was de facto auf ein Aussetzen des Vollzugs hinausläuft“, so der CSU-Chef und Ministerpräsident im Anschluss an eine Sitzung des CSU-Vorstands in München. Für welchen Zeitraum das gelte, ließ er allerdings offen.

Währenddessen suchen verunsicherte ungeimpfte Pflegekräfte per Stellenanzeigen in Tageszeitungen bereits nach einem neuen Job. So auch Claudia S. (*Name von der Redaktion geändert). Die 61-jährige arbeitet einmal wöchentlich als angestellte Anästhesieschwester in einer Klinik und die restliche Zeit als selbstständige Heilpraktikerin in Berlin. In ihrer Anzeige steht, dass die „ungeimpfte Fachschwester“ ab 16. März einen neuen Wirkungskreis sucht. Welche Arbeit sie genau meint? „Da will ich mich nicht genau festlegen, ich kann in vielen Bereichen tätig sein“, sagt sie.

Sie ist keine Impfgegnerin, sagt sie, aber sie habe kein gutes Gefühl dabei, ihrem Körper das Vakzin zu verabreichen. Das soll jeder für sich individuell entscheiden und auf seinen Bauch hören dürfen, findet Claudia S. In der Klinik, in der sie arbeitet, sei ihr Vorgesetzter bereits auf sie zugekommen, um ihr die Impfung vor dem Stichtag im März nahezulegen. Sie wünscht sich „mehr Akzeptanz und Empathie“ für diese Entscheidung. „Jeder Mensch braucht in seiner Entwicklung unterschiedliche Zeit. Mit Druck erreicht man das Gegenteil“, glaubt die Krankenschwester.