Offener Brief: Ex-Charité-Chefvirologe fordert Rückkehr zur Normalität für die Jüngsten

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Ex-Charité-Chefvirologe fordert Rückkehr zur Normalität für die Jüngsten

Stand: 06:59 Uhr

Elke Bodderas Detlev Krüger, ehemaliger Chef-Virologe an der Charité, kritisiert die Freiheitsbeschränkungen für Kinder Detlev Krüger, ehemaliger Chef-Virologe an der Charité, kritisiert die Freiheitsbeschränkungen für Kinder

Detlev Krüger, ehemaliger Chef-Virologe an der Charité, kritisiert die Freiheitsbeschränkungen für Kinder

Quelle: Norbert Michalke, picture alliance/dpa; Montage: Infografik WELT

Er war 27 Jahre Chefvirologe an der Berliner Charité: Detlev Krüger schaltet sich in die Debatte um Schulen und Kitas ein. Gemeinsam mit Experten für Kindermedizin rät er, die Quarantäneregeln an Schulen stark einzuschränken und die Massentestungen zu stoppen.

Mit einem offenen Brief an Kanzler, Kultus- und Bildungsminister haben sich der ehemalige Charité-Chefvirologe Detlev Krüger, der Epidemiologe Klaus Stöhr sowie Kinder- und Jugendmediziner in die Debatte um Schulen und Kitas eingeschaltet. Die Experten fordern eine grundsätzliche Lockerung der Quarantäne- und Testregelungen für Schüler: „Wir brauchen Schulunterricht ohne Beschränkungen, ohne Quarantäne und anlasslose Reihentestungen für gesunde Kinder.“

Nötig sei eine „vorausschauende Strategie“, die Kindern und Jugendlichen schnellstmöglich Normalität im Alltag garantiere, heißt es in dem Schreiben, das WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt. Außerdem sollten sie grundsätzlich mit geimpften und genesenen Erwachsenen gleichgestellt werden: „Ihre Teilhabe an Kultur, Bildung und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens darf nicht vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht werden“. Das Thema Kinder-Impfungen liegt den Autoren besonders am Herzen: Weil Kinder und Jugendliche wegen ihres geringen Erkrankungsrisikos nur einen marginalen individuellen Nutzen daraus zögen, müsse der Impfung ein eingehendes Beratungsgespräch vorausgehen, um Risiken und Nutzen miteinander abzuwägen. „Schulen, Kitas oder auch Zoos sind dafür keine geeigneten Orte“, heißt es in dem Brief, der von der bundesweiten „Initiative Familien“ formuliert wurde. Zu den Unterzeichnern gehört mit dem Epidemiologen Rüdiger von Kries auch ein Mitglied der Ständigen Impfkommission.

Lesen Sie hier den offenen Brief im Wortlaut

„Wir brauchen eine Rückkehr zur Normalität für die Jüngsten“, heißt es in dem Brief. „Viren mutieren“, schreiben die Verfasser, das sei „kein Grund, Kinderrechte massiv zu verletzen“. Gemeint sind die seit Monaten praktizierten Klassen- oder gar Schulschließungen, wenn in einzelnen Lerngruppen ein Coronafall aufgetreten ist.

Statt „unverhältnismäßiger Quarantäneregeln“ brauche es, so die Autoren, ein „Test to stay“-Programm, wie es etwa in Großbritannien praktiziert werde: Bei einem positiven Fall testen sich anlassbezogen Kontaktpersonen täglich und dürfen bei negativem Test in der Schule bleiben. Deutschland müsse in der Pandemiebekämpfung endlich dem Beispiel jener Länder folgen, die den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen eine hohe Priorität einräumen.

„Das Kindeswohl darf nicht gefährdet werden“

„Das Kindeswohl darf nicht gefährdet werden“, sagte Detlev Krüger WELT AM SONNTAG. Der 71-Jährige war 27 Jahre lang Leiter des Virologischen Instituts der Berliner Charité und hat im Jahr 2017 an Christian Drosten übergeben. Kinder hätten einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet – mit gravierenden Nachteilen für sie selbst. „Unter den Folgen werden sie noch Jahre leiden“.

Sowohl Detlev Krüger als auch Klaus Stöhr haben die Lockdown-Maßnahmen der deutschen Politik im Kampf gegen Covid-19 von Anfang an kritisch begleitet. Stöhr kritisiert vor allem falschen Aktionismus in der Pandemie gegenüber Kindern. Ihm erschließe sich nicht, warum man immer zuerst auf die Kinder schiele, etwa wenn die Intensivstationen vollliefen, sagte er bereits im November: „Das wirkt auf mich so effektiv, als würde man bei einem Platten vorne am Fahrrad den Hinterreifen aufpumpen“.

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Für Detlev Krüger ist klar, dass Kinder die größten Opfer in der Pandemie bringen. Der Virologe sieht auch die Reihentestungen an Schulen kritisch: „Kinder leiden unter den anlasslosen Routinetestungen, denn wenn eines positiv getestet wird, gilt es als schwarzes Schaf“.

Es müsse der Übergang zur Endemie vorbereitet werden, sagte Krüger WELT AM SONNTAG. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Omikron sich massiv ausbreiten und die Infektionsrate stark steigen wird bei einer gleichzeitig niedrigeren Krankheitslast“, sagte Krüger WELT AM SONNTAG. Kinder erkrankten nur sehr selten schwer, die Schutzregeln müssten auf die wahren Risikogruppen fokussiert werden, also etwa auf ältere Menschen.

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